Hallo!
Darf ich vorstellen: Henriettes Hinterteil.
Henriette ist mein treues Breezer‑Bike – und längst mehr als nur ein Fahrrad. Eine echte Diva und zugleich eine robuste „Bauerntralle“, die auch mal harte und fragwürdige Wege nimmt. Über sie werde ich hier immer wieder schreiben, denn sie hat – zur Verwunderung mancher – eine eigene Persönlichkeit und „kommuniziert“ gern mit mir. Ich bin Stephan – der Typ der so komisch von oben schaut. Wir beide, Henriette und ich, haben schon einiges erlebt, und ich bin gespannt, wohin es uns noch verschlägt.
Ich nehme euch gerne mit – auf Tagestouren, Reisen und spontane Ausflüge. Für mich sind diese Erlebnisse mehr als Bewegung oder Urlaub. Sie sind bewegend im doppelten Sinne: körperlich und emotional. Wer hätte gedacht, dass ich einmal mit eigener Kraft Ziele erreiche, die früher unvorstellbar waren? Damals, mit rund 40 Kilo mehr auf den Rippen, waren drei Kilometer auf dem Rad eine kleine Sensation. Heute fahre ich Strecken über 250 Kilometer – und das Gefühl ist noch immer dasselbe: Stolz, Freude, Freiheit. Es ist anders als früher, aber genauso schön. Ich liebe es, den Kopf auszuschalten, einfach zu treten – mich auch mal zu quälen – und das Ziel zu erreichen.
Am Ende geht es mir vor allem um das Gefühl: mit mir zu sein, die Welt mit wachen Augen und offenem Herzen zu erfahren – das Leben und das, was uns geschenkt wurde, wertzuschätzen und zu genießen.
Schön, dass du dabei bist. Viel Spaß beim Lesen und Mitradeln.
Dritter Oktober / Einheitstour von MD – Gardelegen – Salzwedel – Uelzen
➡︎ 147 km, ⬆︎ 590 m
Der Wecker klingelte um 7:30 Uhr, Frühstück und Unterwegs-Jami-Jami habe ich gestern Abend schon vorbereitet so das ich heute schon um spätestens 8 auf Henriette eine letzte weitere Tour des Jahres machen kann.
Ich war aber so müde und lustlos, dass ich immer wieder den Wecker gesnoozed habe. Ich hätte auch aufstehen können, denn im Halbdösen, sprangen meine Gedanken von… kacke, ich wollte doch… och nö, ich will gammeln… Scheiße, ich habe das Essen ja schon vorbereitet… ne ich will noch schlafen… aber ich schlafe ja garnicht… na toll, jetzt schaffe ich es zeitlich eh nicht mehr… vielleicht einfach ins Fiti und Büro-Kram machen… vielleicht einfach nicht stressen und einfach ein kurzes entspanntes Ründchen.
9:30 Uhr habe ich es geschafft, aus dem Bett zu stolpern, immer noch unsicher, was ich genau mache. Draußen nebelte es ordentlich – willkommen Herbst – aber die Sonne und der blaue Himmel versprachen einen guten Tag. Also entschieden: es wird jetzt doch geradelt… mit dem Wind entspannt nach Salzwedel. Dieses Jahr wird es das ansonsten mit dem Radeln gewesen sein. Nächste Woche eine kleinere OP (Ich lasse mir die Beine Verlängern... Scherz), die mit einem absoluten Sportverbot für die folgenden 4 Wochen einhergeht und dann kann ich minimal wieder etwas machen… und dann ist’s schon Ende des Jahres und mir Frostbeule eindeutig zu kalt im Winter.
Vierhunderter Tour nach Rügen
➡︎ 402 km, ⬆︎ 1.550 m und ➡︎ 94 km, ⬆︎ 370 m
23:15 Uhr am Donnerstag den 18. September.
Sagt man jetzt guten Morgen oder gute Nacht…?
Eigentlich wollte ich es schon Ostern machen, da hat mich aber eine Erkältung ausgehebelt. Dann Pfingsten – da durfte ich vom Arzt aus nicht radeln und bin mit dem Zug. Beim Blick auf die sommerlichen September-Wetter-Aussichten vorgestern fiel mir wieder diese Tour ein. Also Tantchen angeklingelt und nachgefragt, ob’s passt. Und nun starte ich 22:30 Uhr an einem Septemberabend schon mal ins Wochenende.
Das ist das wirklich Gute am Selbstständigsein: neben dem Selbst und dem Ständig wenigstens spontan selbst zu entscheiden – ob ich nun alles eingearbeitet habe oder ob ich einfach gerade Bock habe.
Für mich eine Premiere: abends zu starten, um die Nacht durchzuradeln.
TAG 8 / Meran - Bozen - Dolomiten
➡︎ 88 km, ⬆︎ 1.910 m, ⬇︎ 260 m
Die Passer rauschte, die Nacht war fein – so soll’s sein. Es ist morgens schon ziemlich schwül-warm, das ist typisch für das windgeschützte Etschtal, das hier (auch wenn durch den Vinschgau bereits die Etsch fließt) anfängt.
Henriette sieht ein wenig morkelig nach der gestrigen Wasserdurchquerung aus, da in ihrem feuchten Zustand Sand und allerhand Gedöhns an ihr hängen geblieben ist. Ich frage mich manchmal, ob sie sich nicht auch irgendwie Keime einfangen kann, so pattig wie sie oft ist. Aber ich liebe es, wenn sie aussieht wie nach Schlammcatchen – dann fühle ich mich nicht so allein mit meinem Äußeren.
Nach der Erfrischung in der Passer und Frühstück geht’s wieder durchs Wasser und den staubigen Morkel-Sand, durch Büsche, hoch zum Weg. Henriettes Felgen und meine Hobbitfüße andeutungsweise putzen – und ab geht es runter nach Meran. Heute fahre ich nur durch die Stadt durch und halten nicht noch mal.
Vorbei an Palmen, mondäner Architektur im mediterranen Stil geht es nun an die Etsch, deren Verlauf ich nun einige Kilometer flussabwärts an Burgen und Apfelplantagen entlangfahre. Es ist aufgrund des feuchtwarmen Klimas diesig und die Silhouetten der Berge sind nicht scharf zu sehen.
TAG 7 / Ofenpass – Val Müstair – Passo Stelvio – Vinschgau – Meran
➡︎ 113 km, ⬆︎ 1.590 m, ⬇︎ 3.370 m
Isomatte in die Hängematte geschoben, lange Hose und wärmende Jacke übergestreift – nachts wurde es hier oben dann doch ziemlich kalt, vor allem am Rücken. Also etwas präparieren, damit die Tour nicht durch eine Unterkühlung endet. Und trotzdem: herrlich. Eingemummelt, leicht schwingend, beseelt von den Eindrücken der letzten Tage. Einfach nur müde sein dürfen – Tiefschlaf in der Hängematte.
Aufwachen im Wald auf über 2.150 Metern – wie nach einer Vollnarkose. Freude und leichte Aufregung auf einen neuen, besonderen Tag. Dominik war schon längst wach, hatte alles gepackt und wartete wohl auf mein Erwachen. Während ich benebelt prüfte, ob meine Schuhe und Klamotten noch an den Bäumen hingen und versuchte, mein Gleichgewicht wieder mit meinem Gehirn zu koppeln, kam er mit einem Topf und Löffel auf mich zu. „Hast du ein Gefäß?“ – er hatte extra Müsli mit Banane, Honig und KO-Tropfen für mich gemacht. (Keine Sorge, die KO-Tropfen sind nur mein Scherz).
Morgens bin ich leicht überfordert, also drückte ich ihm reflexartig meinen Kochtopf in die Hand. Im selben Moment dachte ich: „Mist, da wollte ich doch eigentlich meinen Kaffee drin brutzeln.“ Egal – die Geste war einfach superlieb. Und das Müsli war wirklich lecker. Ich hoffe nur, dass ich nicht unfreundlich wirkte – Dominik war nämlich ein sehr sympathischer Mensch. Ich bin morgens halt gern etwas still für mich, das hat nichts mit dem Gegenüber zu tun.
TAG 6 / Kaunertal - Engadin - Ofenpass
➡︎ 107 km, ⬆︎ 2.090 m, ⬇︎ 1.010 m
Der frühe Vogel ist mal wieder längst weg und hat mich nicht mitgenommen. Die Matratze auf der Dachterrasse hat mich noch festgehalten, und meine müde Trägheit hat sich ihrer Macht ergeben (wie fast immer).
Die Nacht war eigentlich richtig schön. Aber ich hatte mal wieder ordentlich Panik-Attacken. Da ich das öfter habe, haut mich das – auch wenn’s mega anstrengend ist – nicht mehr ganz so aus den Badelatschen.
Die Angst ist wie ein Familienmitglied, das sich hin und wieder meldet, sich in mir breitmacht und dann aus meinen Augen in eine Welt schaut, die sie nicht wirklich versteht – in der sie sich fremd und allein fühlt. Dann muss der erwachsene Teil von mir versuchen, nach vorne zu treten, sich um die Angst zu kümmern und sie zu beruhigen.
Heute Nacht stand sie wieder fest neben mir, besser gesagt in mir und war völlig panisch: Was machst du da? Wo bist du? Pässe? Niemals schaffst du das! Dein Körper? Du bleibst irgendwo hängen, bist überfordert, fällst zurück in dieses grausame Dunkel und bist hilflos ausgeliefert. Ich weiß doch gar nicht, wo ich bin – und hier ist niemand, der aufpasst.
Und dann muss ich mich schütteln: Hey, keine Angst. Schau dich an. Schau, was wir schaffen. Uns kann man nackig in einen Wald schicken, und am anderen Ende kommen wir in einem Anzug gekleidet wieder raus – mit tollen Erlebnissen und Begegnungen.
Für Außenstehende ist das vielleicht schwer nachzuvollziehen – wenn man sieht, was ich sonst mache, wie viel Gottvertrauen ich habe und wie ich mich freuen kann, einfach nur zu atmen. Und trotzdem gibt es diese kleinen frechen Dämonen mit ihren traurigen Geschichten, die einfach in den Arm genommen werden wollen, um sich zu beruhigen.
So, nun habe ich mich aber genug nackig gemacht.









































































































































































